Die Zerstörungsphantasien anglo-amerikanischer und israelischer Strategen
Am 18. Juni 2025 wendet sich die Jerusalem Post mit einem Appell an Donald Trump:
Mr. President, this extreme theocracy needs to fall. Make its destruction as explicit a policy as the defeat of Nazi Germany or Saddam Hussein’s Iraq.
Die israelische Zeitung vergleicht also die Islamische Republik Iran mit Nazi Deutschland sowie Saddam Husseins Irak und fordert dessen Vernichtung.
Von Bedeutung ist vor allem der zweite Vergleich. Denn der US-amerikanische Angriffskrieg auf den Irak im März 2003 hatte nicht nur den Sturz des Diktators zur Folge, sondern führte zur Zersplitterung des Landes entlang ethnischer und religiöser Identitäten. Unfassbare Blutbäder fanden statt, an denen schiitische wie sunnitische Extremisten beteiligt waren. Der Irak als Nationalstaat existiert seitdem nicht mehr.
Das bedeutet für Israel wie die USA: ein feindlicher Staat weniger. Daran kann auch die Tatsache nichts ändern, dass der Iran seitdem enorm an Einfluss im Irak gewonnen hat und diverse Milizen kontrolliert. Ein zersplittertes Land, dass jederzeit Gefahr läuft, in einen Bürgerkrieg zu verfallen, stellt keine vergleichbare Bedrohung dar wie ein (halbwegs) funktionierender, moderner Nationalstaat mit einer nationalistischen Ideologie.
Die Phantasie, nahöstliche Staaten bzw. Gesellschaften entlang ihrer religiösen und ethnischen Unterschiede zu zersplittern, ist tief in der Psyche israelischer wie anglo-amerikanischer Strategen verankert.
Sie glauben damit, den Nahen Osten besser kontrollieren zu können, aus den genannten Gründen: Ein zerstückelter Staat ist leichter zu manipulieren als ein funktionierender Nationalstaat, der die gesellschaftliche Heterogenität im Zweifelsfall durch ein hartes Geheimdienstregime im Zaum hält.
Hinzu kommt die Traumatisierung durch das massenhafte Blutvergießen, das mit dem Zersplitterungsprozess einhergeht. Es führt dazu, dass die davon betroffenen Gesellschaften auf lange Sicht kein Interesse mehr haben können, sich mit Israel und/oder den USA anzulegen
Tatsächlich hatten (und haben) Israel wie die USA Erfolg mit dieser Strategie – nicht nur im Irak, sondern auch in Syrien und in abgewandelter Form in Libyen, wo regionale statt ethnische/religiöse Animositäten ausgenutzt wurden, um den Staat zu zerstören.
Nun ist der Iran an der Reihe. Zumindest ist das die Phantasie israelischer und anglo-amerikanischer Strategen.
Die Jerusalem Post kleidet das kommende Blutvergießen – wenn der Plan denn gelingt – natürlich in freundliche Worte. Denn die westliche Öffentlichkeit liest mit und kann sich für diese Art von Regime Change nur erwärmen, wenn er für eine „gute“ Sache ist. Anders ausgedrückt: Wenn es um die „Befreiung“ unterjochter Völker geht.
Die Zeitung fordert Donald Trump deswegen auf:
Forge a Middle East coalition for Iran’s partition. Encourage long-term plans for a federalized or partitioned Iran, recognizing that Khamenei’s theocratic regime cannot be reformed. Offer security guarantees to Sunni, Kurdish, and Balochi minority regions willing to break away.
Minderheiten sollten ermutigt werden, aus dem iranischen Nationalstaat auszubrechen, Donald Trump möge eine nahöstliche Koalition schmieden, die zur „Teilung“ des Irans führt.
Drei Tage später, am 21. Juni 2025, erscheint die britische Zeitung The Economist (sie nennt sich selbst „newspaper“, obwohl sie wöchentlich erscheint). Sie gehört zu den wichtigsten Leitmedien auf dem Globus, mit einer Tradition, die bis ins Jahr 1843 zurückreicht. Der Economist gibt Trends vor und entwirft auch langfristige Szenarien, die mitunter Realität werden.

Dieses Heft ist dünn, es umfasst gerade 78 Seiten und kostet schlappe 12.99 €. Jede elfte Seite ist dem Krieg gegen den Iran gewidmet. Es geht also um die Wurst.
Der Economist ist verhalten optimistisch, was die Chancen betrifft, die Islamische Republik in die Knie zu zwingen. Gleichzeitig beschreibt er etwas weniger idealistisch als die Jerusalem Post, was dem Land und seinen Nachbarn möglicherweise bevorsteht.
In dem Artikel „Decisive attack, unknown result“ steht folgendes Szenario:
Iran could splinter, with ethnic separatists causing trouble near its borders with Iraq, Pakistan and Turkey. Or the clerical regime could give way to a military one, which might be tempted to make a clandestine dash for a nuclear bomb in order to deter future attacks. In the first scenario, Iran would come to resemble Libya; in the second it would be North Korea. Neither is an appealing choice for its neighbours.
In dem Artikel „Rotten or robust?“ (online nicht verfügbar) phantasiert der Economist erneut von einem Bürgerkrieg, als wolle er klar stellen, wohin die Reise geht:

Separatists may resurface in Kurdish and Azeri provinces, as they did aufter the shah´s fall. A civil war is possible, as in Syria and Iraq: a prospect that terrifies many Iranians.
Ein Bürgerkrieg sei „möglich“, so wie er in Syrien und dem Irak stattfand. Das versetze viele Iraner in Angst und Schrecken.
Diese Angst sollte jeder Beobachter, der ein Fünkchen Empathie für die Menschen in dem Land übrig hat, ernst nehmen und inständig hoffen, dass sich die Phantasien anglo-amerikanischer und israelischer Strategen diesmal nicht bewahrheiten.
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