Syrien: Das „versteckte Massaker“ (Teil 1)

Eine „friedliche“ Revolution mit hunderten Toten (März 2011 bis Sepember 2011)

Im Dezember 2024 eroberten verschiedene Milizen, angeführt von Hayat Tahrir al-Sham, dem ehemaligen syrischen Arm des Terrornetzwerkes al-Qaida, die Großstädte Syriens und brachten das Baath-Regime nach 60 Jahren Herrschaft zum Einsturz.

Seitdem wartet die Welt gespannt darauf, was passiert. Die „eingefrorene Revolution“ , wie sie ein deutscher Fachmann nannte, ist aufgetaut und muss nun zeigen, wes Kind sie ist.

Die Tatsache, dass Dschihadisten an den Hebeln der Macht sind – sie verfügen über die Kanonen, nicht die Zivilgesellschaft – lässt Spielraum für Skepsis. Denn innerhalb des transnationalen Dschihadismus ist insbesondere der syrische von einem virulenten Hass gegenüber heterodoxen islamischen Minderheiten geprägt, darunter den Alawiten, zu denen auch Ex-Präsident Bashar al-Assad gehört. Die entscheidende Stütze des Baath-Regimes war zudem ein sadistischer Sicherheitsapparat, in dem vielfach alawitische Offiziere die Strippen zogen.

Die Furcht vor Vergeltungsmaßnahmen gegen die alawitische Minderheit standen also seit dem „Sieg der großen syrischen Revolution“ im Raum. Zurecht, wie sich schnell herausstellte, auch wenn die Angriffe auf Alawiten und andere Minderheiten in den westlichen Medien zunächst kaum beachtet wurden.

Das änderte sich Anfang März 2025, als hunderte, wenn nicht tausende alawitische Zivilisten im Nordwesten des Landes von dschihadistischen Kämpfern getötet wurden.

Ein Bericht der Tagesschau vom 10. März 2025 trägt den Titel: „Massaker an Zivilisten in Syrien. Die Angst der Alawiten.“

Wir nehmen diese Entwicklung zum Anlass, uns noch einmal im Detail den Ursprung der „Syrischen Revolution“ anzuschauen. Denn diese Revolution ist von zahlreichen Mythen umrankt, die es zu hinterfragen gilt.

In den folgenden Woche stelle ich hier Artikel ein, die Teil eines Buchprojektes sind, das sich über Jahre hin entwickelt hat und im Jahre 2026 zum Abschluss kommen wird..

In dem Buch geht es darum, wie westliche Geheimdienste und militärische Spezialeinheiten Extremisten für ihre Zwecke einsetzen. Syrien ist nur ein Beispiel von vielen, allerdings eines, das so gut dokumentiert ist wie kaum ein anderes.

Es folgt nun Teil 1 des Kapitels: „Syrien: Das „versteckte Massaker“.“

Die Buchteile, die ich hier reinstelle, sollen 10.000 Zeichen nicht überschreiten, damit die Augen der Leser nicht vor dem Ende zufallen.


Kristin Helberg ist Politikwissenschaftlerin und arbeitete sechs Jahre beim NDR in Hamburg, im Jahre 2001 ging sie nach Damaskus, „wo sie lange Zeit die einzige offiziell akkreditierte westliche Korrespondentin war“.

Sie blieb bis 2008 und berichtete für Rundfunk, Print und Fernsehen. Ihre Artikel etwa in der taz geben wertvolle – und differenzierte – Einblicke in eine Zeit, als syrische Oppositionelle noch mit friedlichen Mitteln versuchten, Veränderungen herbeizuführen, aber regelmäßig von dem Baath-Regime ausgebremst wurden. Kristin Helberg gilt nicht zu Unrecht „als eine der besten Syrien-Kennerinnen im deutschsprachigen Raum“.

Als im März 2011 der Aufstand in Deraa losbrach, wandelte sich die Journalistin zu einer scharfen Regimekritikerin, die seitdem kein grau mehr kennt. Für sie gibt es nur noch unschuldige Revolutionäre auf der einen und das böse Regime auf der anderen Seite. Die verdeckte Kriegsführung des Westens existiert bei ihr nicht, sehr wohl aber halbherzige Politiker aus Washington und Brüssel, die die Revolution im Stich gelassen hätten.

Durch zahlreiche Interviewauftritte in sämtlichen Medien sowie eigene Berichte und Bücher hat Kristin Helberg den Blick der deutschen Öffentlichkeit auf Syrien entscheidend mitgeprägt.

Zur Anschauung zitiere ich einige Passagen aus einem Aufsatz, den der Rowohlt Verlag im Jahre 2015 von ihr veröffentlichte. Sie stehen prototypisch für das Konsensnarrativ, das sich in deutschen Qualitätsmedien zur syrischen Tragödie im Laufe der Zeit entwickelte, sie könnten in dieser oder ähnlicher Form in jeder Zeitung stehen.


Foto: A. Metzger

Im Zentrum des Konsensnarrativs steht die mantrahaft vorgetragene Behauptung, der Aufstand gegen das Baath-Regime sei rein friedlicher Natur gewesen. Gewalt hätten nur Bashar al-Assad und seine Schergen angewendet.

Die Polititkwissenschaftlerin schreibt:

„Für Assad sind die Demonstranten von Anfang an Terroristen und ausländische Agenten. Um diese Propaganda wahr werden zu lassen, entlässt er Dschihadisten aus dem Gefängnis, schürt konfessionellen Hass und schickt Provokateure des Geheimdienstes, um den Aufstand in ein schlechtes Licht zu rücken.“ (S. 58.)

Das klingt nach Verschwörungstheorie, jedenfalls liefert sie weder Indizien noch Beweise. Lassen wir es zunächst so stehen.

Für den hässlichen Dschihad in Syrien – Stand: Herbst 2015 – hat sie folgende Erklärung:

„Viereinhalb Jahre lang hat das syrische Regime alles dafür getan, radikale Islamisten zu seinem mächtigsten Feind zu machen. Assads `Terroristen´waren aufmüpfige Schulkinder, Plakate malende Aktivisten, friedliche Demonstranten, Medikamente schmuggelnde Frauen, Journalisten, Ärzte und Sanitäter, christliche Filmemacher, alawitische Deserteure und national gesinnte Kämpfer. Diese gemäßigten Kräfte hat Assad mit größtmöglicher Brutalität bekämpft, während er die ab 2013 ins Land strömenden Dschihadisten geduldet, geschont und sogar gestärkt hat.“ (S. 64.)

Kristin Helberg verneint also die Möglichkeit, dass Islamisten und Dschihadisten von Beginn an Teil des Aufstandes gewesen sein könnten; sie nennt es eine fixe Idee des Regimes, das damit die „gemäßigten Kräfte“ in ein „schlechtes Licht“ hätte rücken wollen. Wichtiger noch: Sie verneint die Möglichkeit, dass „ausländische Agenten“ eine Rolle gespielt haben könnten, sie hält auch das für ein Hirngespinst des syrischen Sicherheitsapparates.

Bedeutsam ist ihre apodiktisch vorgetragene Behauptung, dass das Regime bewusst „konfessionellen Hass“ gesät hätte, um den Aufstand erst zu radikalisieren und dann militärisch bekämpfen zu können.

Schließlich verdient ein Datum unsere Aufmerksamkeit: Kristin Helberg schreibt allen Ernstes, dass Dschihadisten erst seit 2013 ins Land „strömten“ und dann von Bashar al-Assad „geduldet, geschont und sogar gestärkt“ wurden!

Wie sie auf diese Idee kommt, bleibt bis auf Weiteres ein Mysterium…


Januar 2012: al-Qaida kündigt Selbstmordattentate in Syrien an. Foto: A. Metzger @Daily Telegraph

In den folgenden Kapiteln werde ich zeigen, dass kritische Beobachter geneigt sein könnten, die Entwicklung des syrischen Konflikte anders darzustellen als Kristin Helberg.

Ich werde das anhand einer Fülle von Material machen, das im Prinzip aus drei Elementen besteht: Zum einen aus Berichten und Analysen, die veröffentlicht wurden, während sich der Konflikt entwickelte. Sie geben das wieder, was jeder – zumindest Fachleute – in Echtzeit darüber wissen konnte.

Zum zweiten handelt es sich um durchgestochene Texte amerikanischer Offizieller (E-Mails, vertrauliche Berichte) aus jenen Tagen, die deren unverblümte Sichte auf die Dinge zeigen.

Schließlich handelt es sich drittens um Texte, die den Konflikt – vor allem den scheinbar überraschenden Aufstieg des ISIS – rückwirkend betrachten und einordnen.

***

„Das kann ein Afghanistan 2.0 für Putin werden“

In der Ukraine droht ein schrecklicher Guerilla-Krieg

Was will Putin? Das fragt sich die Welt seit Wochen und ringt um Antworten.

Mit dem Angriff auf die Ukraine hat er Russland in eine Ecke manöviert, aus der es keinen Ausweg gibt. Ihm droht der Zerfall seines Reiches und die Anklagebank in Den Haag.

Während die Suche nach Motiven weiter geht, ist es an der Zeit zu fragen:

Was will die NATO?



In den vergangenen Wochen sind diverse Berichte aufgetaucht, aus denen hervorgeht, dass die CIA seit Jahren ukrainische Spezialeinheiten ausgebildet hat, um im Falle einer russischen Invasion einen regelrechten Guerillakrieg in der Ukraine loszutreten.

Strategische Studien eines Pentagon-nahen Think Tanks legen nahe, dass die USA großes Interesse daran hatten, dass genau das eintritt.

Denn der russische Versuch, ein Land von der vierfachen Größe Englands zu kontrollieren, mit einer Bevölkerung von 40 Millionen, eröffnet ungeahnte Möglichkeiten, Russland militärisch und wirtschaftlich auszubluten.

Es lockt ein Afghanistan 2.0, geformt nach dem Vorbild der 1980er Jahre, als islamische Widerstandskämpfer sowjetische Flugobjekte mit amerikanischen Stinger-Raketen vom Himmel holten.

Es folgte der Zusammenbruch der Sowjetunion, der allerdings keinen wirklichen Abschluss fand: Nach zehn Jahren Chaos setzte sich Vladimir Putin 1999 im Kreml fest und entwickelte Ambitionen, sein gerupftes Heimatland wieder auf Augenhöhe zu bringen.

Jetzt könnte sich die Gelegenheit bieten, das zu vollenden, was nach 1989 auf halbem Wege stecken geblieben ist – nämlich die endgültige Zerschlagung des russischen Imperialismus.

Schauen wir uns einige Texte an, die diese These belegen könnten.



Im April 2019 veröffentlicht die RAND Corporation – einer der wichtigsten Think Tanks Amerikas, der dem Pentagon zuarbeitet – eine lange Studie mit dem Titel: „Extending Russia“, oder: „Wie lässt sich Russland überdehnen.“

(Anzumerken ist, dass die Kurzversion der Studie einen aggressiveren Titel trägt: „Overextending and Unbalancing Russia“, oder: „Wie lässt sich Russland bis zur Schmerzgrenze überdehnen und aus der Balance bringen.“)

Die alten Feinde des Kalten Krieges, stellt RAND in bürokratischer Militärsprache fest, befänden sich wieder im „Großmachtstreit“ und die USA müssten nach Wegen suchen, dem Rivalen Schmerzen zuzufügen:

In der Erkenntnis, dass ein gewisses Maß an Wettbewerb mit Russland unvermeidlich ist, führten RAND-Forscher eine qualitative Bewertung von `kostenauferlegenden Optionen´ durch, die Russland aus dem Gleichgewicht bringen und überfordern könnten.

Größte Schwachstelle sei die Wirtschaft, die mit umfassenden Sanktionen zu überziehen sei. Hier fehle jedoch die Kooperationsbereitschaft Europas, vor allem Deutschlands.

Außerdem spricht der Bericht von „geopolitischen Maßnahmen“ (geopolitical measures), die den Rivalen aus der Balance bringen könnten; dazu gehören Waffenlieferungen an syrische Rebellen sowie Regime-Change-Maßnahmen in Belarussland und Zentralasien.

Noch wichtiger sei jedoch der schwelende Konflikt im Donbass:

Eine Intensivierung der Militärberatung und vermehrte Waffenlieferungen an die Ukraine sind die praktikabelsten dieser Optionen mit der größten Wirkung (..) Das ukrainische Militär blutet Russland bereits in der Donbass-Region aus (..). Die Bereitstellung von mehr US-Militärausrüstung und Beratung könnte Russland dazu veranlassen, seine direkte Beteiligung an dem Konflikt und den Preis, den es dafür zahlt, zu erhöhen. Russland könnte mit einer neuen Offensive reagieren und mehr ukrainisches Territorium erobern.

Im Klartext heißt das: Es ist im Interesse der USA, genau das zu provozieren.


Auch der BND weiß um die Vorteile des Guerilla-Kriegs.

Zwei Jahre später. Nachdem Präsident Wolodimir Selenskij angekündigt hat, die Krim an die Ukraine zurückzuholen, schickt Russland im März 2021 tausende Truppen an die Grenze.

William Courtney, einer der Geschäftsführer der RAND Corporation, stellt am 26. April fest:

Ein erneuter Krieg könnte hohe Verluste bringen und würde damit der Präferenz des Kremls für risikoärmere Militäraktionen zuwiderlaufen.

Der Grund für die Risikoscheue:

In den 1980er Jahren starben bei jahrelangen Kämpfen in Afghanistan mindestens 15.000 einfallende sowjetische Soldaten. Das hatte demoralisierende Wirkung. (..) Der Kreml könnte in der Ukraine die gleichen Fehler begehen wie damals die sowjetischen Machthaber in Afghanistan.



Dezember 2021. Die Lage spitzt sich weiter zu. Der gleiche Autor legt offen, dass die USA seit 2014 2.5 Milliarden US Dollar in das ukrainische Militär investiert haben, für genau diesen Fall:

Während die Ukrainer möglicherweise nicht in der Lage sind, eine groß angelegte Invasion zu besiegen, könnten sie hohe Verluste verursachen, was ein heikles Thema in Russland ist. Die Besatzungstruppen könnten ausgedünnt werden und damit anfällig sein für Angriffe von Stay-behind-Truppen.

Zufrieden stellt er fest:

Die USA, ihre NATO-Verbündeten und die Ukraine könnten dem russischen Eindringling schmerzhafte Kosten verursachen. Und für viele Jahre danach könnte Russland einer verstärkten NATO-Militärmacht gegenüberstehen.

Am 19. Dezember 2021 veröffentlicht die Washington Post einen Artikel, der zeigt, dass entsprechende Vorbereitungen bereits laufen:

Die Biden-Regierung untersucht, ob und wie die Vereinigten Staaten einen antirussischen Aufstand in der Ukraine unterstützen könnten, wenn Präsident Wladimir Putin in dieses Land einmarschiert und beträchtliches Territorium erobert.


Ein ehemaliger russischer Helikopter in Afghanistan.

Sollte die ukrainische Regierung fallen, würde das US Militär Waffen und logistische Hilfe schicken, um einen Guerilla-Krieg anzufachen. Der Autor zieht Parallelen zum Afghanistan-Krieg:

Zu den Waffen, die die Vereinigten Staaten bereitstellen könnten, gehören schultergefeuerte Flugabwehrraketen. Diese Waffen, damals als `Stingers´ bekannt, wurden von der CIA geliefert und hatten während des 10-jährigen Krieges in Afghanistan von 1979 bis 1989 verheerende Auswirkungen auf die sowjetischen Streitkräfte.

Doch nicht nur der Kalte Krieg helfe den USA dabei, eine kluge Strategie gegen Putins Russland zu entwickeln, sondern auch die Erfahrungen, die das US-Militär im so genannten Krieg gegen den Terror gesammelt hat, kämen zur Geltung.


Um die Freiheit der Ukraine zu sichern, gehen die USA äußerst subversiv vor

Wichtig sei, so der Autor, dass sich die USA an Recht und Ordnung hielten:

Die Task Force umfasst ein Rechtsteam, das untersucht, wie Unterstützung für einen ukrainischen Aufstand geleistet werden könnte, ohne gegen US-amerikanische oder internationale Gesetze zu verstoßen.

Die Biden-Administration nutzt die Washington Post als Medium, um ihre Pläne offen zu legen. Vladimir Putin sollte spätestens nach diesem Artikel wissen, was ihn im Falle einer Invasion erwartet:

US-Beamte haben davor gewarnt, dass Amerika und seine europäischen Verbündeten schwere Wirtschaftssanktionen verhängen würden, die die russische Wirtschaft lahmlegen könnten. Und die NATO kündigte letzte Woche Pläne an, Truppen in Richtung Russland zu verlegen, falls Putin Warnungen ignoriert. Das würde Russland nach einer Invasion anfälliger für den militärischen Druck des Westens machen, das Gegenteil von dem, was Putin zu erreichen hofft.

Am 13. Januar 2022 folgt Yahoo! News mit einem detaillierten Bericht, aus dem hervorgeht, dass die CIA seit 2015 ukrainische Spezialeinheiten in den USA ausgebildet hat, um sie auf einen Guerilla-Krieg vorzubereiten.


Die CIA bildet seit 2015 ukrainische Spezialkräfte aus, ihre Sprecherin sagt aber, das stimmt gar nicht.

Der Bericht zitiert einen anonymen Insider:

Die Vereinigten Staaten trainieren einen Aufstand, um Russen zu töten.

Ein anderer sagt:

Wenn die Russen einmarschieren, werden diese [Absolventen der CIA-Programme] die entscheidende Miliz sein, sie werden die Führung des Aufstandes übernehmen (..). Wir bilden diese Jungs jetzt seit acht Jahren aus. Sie sind wirklich gute Kämpfer. Hier könnte das Programm der CIA ernsthaft Wirkung zeigen.

Tammy Thorp, eine Sprecherin der CIA, verneint diese vermeintliche Verschwörungstheorie, doch Yahoo! News scheint das nicht zu stören und bringt den Artikel trotzdem.

Fünf Tage später stattet eine Gruppe von US-Senatoren Wolodimir Selenskij einen Solidaritätsbesuch ab. Senator Richard Blumenthal sagt:

Ich denke, Wladimir Putin hat den größten Fehler seiner Karriere begangen, indem er unterschätzt hat, wie mutig die Menschen in der Ukraine gegen ihn kämpfen werden, wenn er einmarschiert. (..) Wir werden lähmende Wirtschaftssanktionen verhängen, aber was noch wichtiger ist, wir werden den Menschen in der Ukraine die Waffen geben, tödliche Waffen, die sie brauchen, um ihr Leben und ihren Lebensunterhalt zu verteidigen.

Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace kündigt an, nicht nur Waffen zu schicken, sondern auch militärische Ausbilder.

Der Kreml ist sich bewusst, dass amerikanische und britische Strategen einen Guerillakrieg vorbereiten. Ein Sprecher Putins beklagt sich am 18. Januar über die Waffenlieferungen und sagt:

Das ist extrem gefährlich und hilft nicht, Spannungen abzubauen.

(Sputnik ist mittlerweile in Deutschland verboten, um zu verhindern, dass diese Art von Fake-News unters Volk kommt. Der Link tot.)

Trotzdem greift Russland die Ukraine am 24. Februar an.

Einen Tag später veröffentlicht das einflussreiche amerikanische Magazin Foreign Affairs das bislang ausführlichste Exposé über die Planungen der CIA.

Der Titel des Artikels lautet: „Der kommende ukrainische Aufstand: Die russische Invasion könnte Kräfte lostreten, die der Kreml nicht kontrollieren kann“.



Geschrieben ist er von Douglas London, der 34 Jahre für die CIA gearbeitet hat, als Experte für geheime Operationen. Er schreibt:

Die Ukrainer haben die letzten acht Jahre damit verbracht, den Widerstand gegen eine russische Besatzung zu planen, dafür zu trainieren und sich auszurüsten (..) Die Ukraine weiß, dass keine US- oder NATO-Truppen zu ihrer Rettung auf dem Schlachtfeld kommen werden. Ihre Strategie beruht nicht darauf, eine russische Invasion zurückzuschlagen, sondern darauf, Moskau auszubluten, um die Besetzung unhaltbar zu machen.

Die Geographie der Ukraine sei ein Vorteil, da sie an vier NATO-Staaten grenzt (Ungarn, Polen, Rumänien, Slowakei):

Diese langen Grenzen bieten den Vereinigten Staaten und der NATO eine dauerhafte Möglichkeit, den ukrainischen Widerstand und einen langfristigen Aufstand zu unterstützen und Unruhen in Belarus zu schüren, falls die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten beschließen, die Opposition gegen das Regime von Lukaschenko heimlich zu unterstützen.

Ähnlich wie die Washington Post einen Monat vorher verweist Douglas London auf Erfahrungen aus der Vergangenheit, die nahe legten, dass Russland auf verlorenem Posten sei:

Wie die Vereinigten Staaten in Vietnam und Afghanistan gelernt haben, kann sich ein Aufstand, der über zuverlässige Versorgungswege, reichlich Reserven an Kämpfern und Zufluchtswege über die Grenze verfügt, auf unbestimmte Zeit erhalten, den Kampfwillen einer Besatzungsarmee schwächen und die politische Unterstützung für die Besatzung in der Heimat erschöpfen.

„Ein Aufstand ist unvermeidlich“

Dann kommt er zur Rolle der CIA:

Die Unterstützung eines Aufstands liegt in der DNA der CIA (…) Die jüngsten Erfahrungen der CIA bei der Unterstützung und Bekämpfung von Aufständen in Afghanistan, Irak und Syrien bereiten sie gut darauf vor, sich den modernen, konventionellen Streitkräften Russlands entgegenzustellen. Die Vereinigten Staaten können ukrainischen Aufständischen dabei helfen, Ziele mit dem größten militärischen Wert und der größten psychologischen Wirkung zu treffen.

Er vermutet, dass die CIA schon länger dabei ist, die Ukraine auf diesen Krieg vorzubereiten, zusammem mit ihren Geheimdienstkollegen aus Kiew.

Douglas London ist sich im klaren, dass russische Geheimdienste die Aufständischen bereits unterwandert haben und ihnen anfangs schwere Verluste beibringen könnten. Doch die Zeit spiele gegen die Russen:

Aufständische passen sich schnell an, viel schneller als die großen, strukturierten Armeen, gegen die sie kämpfen (..). Ihre Agilität wird zu einem enormen Vorteil.

Tatsächlich rechnet er damit, dass der Guerillakrieg sich nur langsam entwickeln werde:

Ein Aufstand gegen russische Streitkräfte in der Ukraine wird einige Zeit brauchen, um Fahrt aufzunehmen und seine Ziele zu erreichen. Widerstandsbewegungen können Jahre – nicht Monate – brauchen, um zu reifen, sich zu organisieren und ein offensives Tempo zu erreichen.

Abschließend stellt er fest:

Wenn seine (Putins) Ziele maximalistisch sind – Grenzen neu ziehen oder sogar die derzeitige Regierung stürzen – ist ein Aufstand unvermeidlich. Sowohl für Putin als auch für seine Feinde wird es schwer, die jetzt entfesselten Kräfte zu kontrollieren.


Kriegsbilder können die Öffentlichkeit schockieren, wenn sie gezielt eingesetzt werden.

Wenn es stimmt, was Douglas London schreibt, dann spielt die CIA auf Zeit. Ein schneller Erfolg ist bei einem Guerillakieg jedenfalls nicht zu erwarten, vielmehr handelt es sich um eine Abnutzungsschlacht, in der es darum geht, die Moral und die Ressourcen des Feindes langsam zu zermürben.

Die schrecklichen Bilder, die solch ein Krieg produziert, müssen dabei als Waffe gegen den Feind eingesetzt werden:

Eine Einflusskampagne, ausgestattet mit schrecklichen Bildern des Gemetzels – sowohl von ukrainischen Zivilisten wie russischen Soldaten – wird darauf abzielen, in Russland Antikriegsstimmung zu säen.

Tatsächlich berichtet CBS News ein paar Tage später, dass amerikanische und britische Strategen in Jahren denken, wenn nicht Jahrzehnten:

Angesichts der Beständigkeit des ukrainischen Widerstands und seiner langen Geschichte, Russland zurückzudrängen, glauben die USA und die westlichen Mächte nicht, dass dies ein kurzer Krieg sein wird (..) Die britische Außenministerin schätzt, dass der Krieg zehn Jahre dauern wird. Abgeordnete im Kapitol wurden am Montag darüber informiert, dass er wahrscheinlich 10, 15 oder 20 Jahre dauern wird und dass Russland letztlich verlieren wird.

Unmittelbar nach Beginn der russischen Invasion lässt sich auf Twitter ein interessantes Phänomen beobachten: Amerikanische und britische Ex-Militärs geben konkrete Anweisungen für ukrainische Zivilisten, wie sie ihre Städte in geeignetes Terrain für urbane Kriegsführung unwandeln können.



Einer von ihnen ist John Spencer, Chair of Urban Warfare Studies am Madison Policy Forum, ein Major im Ruhestand:

Ich bin gefragt worden, was ich den zivilen Widerstandskämpfern in der Ukraine, insbesondere in Kiew, raten würde, also Leuten ohne militärische Ausbildung, die Widerstand leisten wollen. Hier sind ein paar Dinge: Du hast viele Möglichkeiten, aber du musst klug kämpfen. Die Stadtverteidigung ist die Hölle für jeden Soldaten. Normalerweise kommen 5 Angreifer auf 1 Verteidiger (..). Verwandele Kiew und jedes städtische Gebiet, das nach Kiew führt, in ein Stachelschwein.


Sieht schon ganz gut aus.

Dann erklärt er, wie der Widerstand die Infrastruktur der Stadt – also etwa Brücken – zerstören und die Häuser in Widerstandsnester verwandeln solle:

Steht nicht NICHT im Freien (..). Schießt aus Fenstern, hinter Autos, aus den Ecken von Gassen. Baut Stellungen (am besten aus Beton), um von dort aus zu schießen.

Irgendwann könnte es ruppig werden, so Spencer:

Du musst dich darauf vorbereiten, dass die Russen Artillerie einsetzen werden, um ihren Truppen zu helfen. Stelle sicher, dass die Orte, von denen du schießt, gut ausgebaut sind. Wenn du dich in einem Gebäude befindest, mache Löcher in die Wände.

Abgesehen von den Twitter-Instrukteuren befinden sich laut Berichten von Buzzfeed bereits Veteranen aus NATO-Spezialeinheiten auf dem Weg in die Ukraine, um den Aufständischen zu helfen und andere Freiwillige zur Anreise zu animieren:

Eine Gruppe von 10 Veteranen aus Spezialeinheiten hält sich in Polen auf und bereitet sich darauf vor, in die Ukraine einzudringen.

Es handele sich um sechs US-Amerikaner, drei Briten und einen Deutschen (der dann aus dem Kommando Spezialkräfte (KSK) stammen müsste):

Sie wollen zu den Ersten gehören, die offiziell der neuen Internationalen Legion der Territorialverteidigung der Ukraine beitreten, die Selenskyj am Sonntag angekündigt hat.


Sie sieht nicht mehr so frisch aus wie früher, aber ist kampfeslustig wie eh und je.

Als erste hochrangige Politikerin, die dem „Afghanistan“-Plan ihren Segen gibt, meldet sich Hillary Clinton zu Wort. Auf MSNBC sagt sie am 1. März:

Die Bereitstellung der notwendigen Waffen hat begonnen und muss beschleunigt werden. Die Ukrainer brauchen Stinger-Raketen, um russische Flugzeuge abzuschießen, sie brauchen Javelin-Raketen, um Panzer zu stoppen, sie brauchen viel Munition, sie brauchen so viel Unterstützung wie möglich.

Dann erinnert sie an das Beispiel Afghanistan, das den Ukrainer:innen Hoffnung machen sollte:

Denken Sie daran, dass die Russen 1980 in Afghanistan einmarschierten, und obwohl kein Land hineinging, gab es viele Länder, die Waffen und Berater für diejenigen lieferten, die für den Kampf gegen Russland rekrutiert wurden. Es endete nicht gut für die Russen, es gab andere unbeabsichtigte Folgen, wie wir wissen, aber Tatsache ist, dass ein sehr motivierter und gut finanzierter und bewaffneter Aufstand die Russen im Wesentlichen aus Afghanistan vertrieben hat.

Natürlich gebe es Unterschiede, so die ehemalige Außenministerin, aber letztlich gehe es um das gleiche Prinzip:

Natürlich sollte man die Ähnlichkeiten nicht überbetonen, weil das Terrain so unterschiedlich ist, aber ich denke, das ist das Modell, auf das die Leute jetzt schauen. (..) Ich denke, wir müssen das genau beobachten, wir müssen ausreichend militärische Ausrüstung für das ukrainische Militär und die Freiwilligen bereitstellen und wir müssen die Schrauben weiter anziehen.

Amerika wäre nicht Amerika, wenn es nicht auch kritische Stimmen gäbe.

Das linke Magazin Covert Action Quarterly, das seit Jahrzehnten über verdeckte Kriegsführung berichtet, erinnert am selben Tag, als Hillary Clinton ihr Interview gibt, an den legendären amerikanischen Strategen Zbigniew Brzezinski.


Zbigniew Brzezinski schaffte es bis ganz nach oben, obwohl sein Name fast nur aus Konsonanten besteht.

Er ist der Vater der „Afghanistan“-Strategie: Im Sommer 1979, sechs Monate vor dem sowjetischen Einmarsch, ließ er die Mudschahedin bewaffnen, um die Sowjets in die Falle zu locken und dann über Jahre hinweg militärisch ausbluten zu lassen.

Die Tatsache, dass anschließend die Taliban die Macht übernahmen, kommentierte er 1998 wie folgt:

Was ist wichtiger für die Geschichte der Welt? Die Taliban oder der Zusammenbruch des Sowjetimperiums? Einige aufgeregte Muslime oder die Befreiung Mitteleuropas und das Ende des Kalten Krieges?

Das Covert Action Magazine befürchtet, dass wir an einem ähnlichen Punkt in der Geschichte angelangt sind:

Brzezinski starb im Mai 2017, aber sein Geist lebt in der Biden-Regierung weiter, die seiner Blaupause gefolgt zu sein scheint und Afghanistan durch die Ukraine ersetzt hat. Ihre Strategie scheint darin bestanden zu haben, eine russische Invasion in der Ukraine herbeizuführen, mit dem Ziel, Russland in einen Sumpf zu locken und gleichzeitig seine Wirtschaft durch Sanktionen zu lähmen, was die Aussicht auf einen Sturz von Wladimir Putin erhöht.

Vollkommen neu ist, dass sich die Bundeswehr offiziell an einer solchen Mission beteiligt. Bereits am 26. Februar kündigt Bundeskanzler Scholz an, 1000 Panzerfäuste und 500 Stinger-Raketen in die Ukraine zu schicken.



Ein ganz neues Gefühl ist es auch, dass Militärs im deutschen Fernsehen auftauchen und Kriegstaktiken erklären, wie der FOCUS anmerkt:

Man hat es bis vor ein paar Tagen nicht für möglich gehalten, dass ein Experte für Militärstrategie mal ein wichtiger Gesprächspartner in einem TV-Talk über Europa werden könnte. Nun sitzt der ehemalige deutsche Nato-General Hans-Lothar Domröse bei Frank Plasberg und darf gleich zum Auftakt des Abend ran.



General Domröse wird in der Sendung erstaunlich deutlich, das Wort „Partisan“ dürften viele Deutsche zum ersten mal in einer Talkshow gehört haben:

Das kann ein Afghanistan 2.0 für Putin werden (..) Die Ukraine muss partisanenartig kämpfen. Das ist die einzige Chance, um den Russen den Angriffsschwung zu nehmen.

Bald werde die Bevölkerung aus Kellern und Straßenschluchten auf Panzer schießen, zitiert FOCUS den General, dessen Auftreten dem Magazin Respekt abverlangt:

Wenn der General mit dem dicken grauen Schnäuzer spricht, schwingen keine Emotionen mit. Nüchtern erklärt Domröse die Welt des Krieges.

Die Waffenlieferung aus Deutschland, so Domröse, würde die Moral der ukrainischen Truppe und die Partnerschaft mit Deutschland stärken.

Eine Guerilla-Krieg mit deutschen Panzerfäusten

Im Morgenmagazin der ARD wird André Wüstner, Vorsitzender des Bundeswehrverbands, gefragt, ob es zu einem Guerilla-Krieg kommen könnte. Seine Antwort:

Ja, davon gehe ich schon aus, denn in den Städten selbst, im Orts- und Häuserkampf, da sind natürlich Kräfte, wie sie die Ukraine hat, mit ihren Panzerfäusten und mehr überlegen, aber auf der anderen Seite könnte das Putin motivieren, mit Feuerwalzen über diese Städte herzufallen, vergleichbar Grozny, Aleppo, und deswegen besorgt mich die aktuelle Situation natürlich auch.

Der Moderator fragt, ob es angesichts dessen richtig war, Panzerfäuste in die Ukraine zu schicken:

Ich denke, die Entscheidung war richtig und sie sind ja auf dem Weg gerade an die Front (..) und das gleiche machen ja unsere Partner.


Ein Pressesprecher des Partisanenkriegs.

Noch sind die deutschen Lieferungen zaghaft, aber das dürfte sich ändern, je mehr sich die Bundeswehr daran gewöhnt hat, eine kämpfende Armee zu sein. Auch für die Deutschen ist es ein vollkommen neues Gefühl, plötzlich von einem „Kriegskanzler“ regiert zu werden.

Dabei beschränkt sich der Abnutzungskrieg gegen Russland nicht nur auf „geopolitische Maßnahmen“, sondern wird von harten wirtschaftlichen Sanktionen flankiert – ganz wie es die RAND Corporation in ihrem Bericht vom April 2019 anvisiert hatte.


Russland ist anscheinend gar keine Bedrohung für den Westen, es hat nicht genug Kohle (also Geld).

Die wirtschaftliche und finanzielle Isolierung seines Landes soll Vladimir Putin zum Einlenken bringen – sofern er bereit ist, den Ernst der Lage zu erkennen. Emily Haber, die deutsche Botschafterin in Washington, schreibt dazu auf Twitter:

Die Sanktionen des Westens werden Russland in den Ruin treiben.

Doch auch die Ukraine wird leiden, daran führt kein Weg vorbei. Immerhin winkt die vollständige Eingliederung in westliche Strukturen, wenn alles überstanden ist.

Kori Schake, eine einflussreiche Verteidigungsexpertin vom American Enterprise Institute in Washington, schreibt dazu:

Die Eroberung der Ukraine wird unaussprechliche Brutalität erfordern, und selbst wenn Moskau erfolgreich sein sollte, strömen bereits fremde Legionäre in die Ukraine, um den Aufständischen dabei zu helfen, die russische Besatzung auszubluten. Wenn die Ukraine den Angriff Russlands abwehrt, wird sie in die NATO und die EU aufgenommen.

Sollte der hier beschriebene amerikanische Plan tatsächlich der NATO-Strategie entsprechen, befinden wir uns erst am Anfang eines langen Guerillakrieges.



Um das zu verhindern, sollte Vladimir Putin – sofern ihm das Schicksal Russlands, aber auch das der Ukraine, am Herzen liegt – seine Truppen so schnell wie möglich wieder abziehen.

Denn die Vorbereitungen für diesen Krieg laufen auf Hochtouren, niemand wird ihn stoppen können.

Das Modern War Institute in West Point redet deswegen den westlichen Strategen, die all das seit langem planen, ins Gewissen:

Selbst wenn dies zu einer russischen Niederlage führen sollte, sollten sich die Ukrainer – und die westlichen Politiker, die sie unterstützen – nicht darüber täuschen, wie schrecklich ein aufständischer Krieg sein wird.

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