Ein Tag, ein Interview

NATO-Generalsekretär Rutte betont: „Wir brauchen eine Demonstration amerikanischer Macht auf der Weltbühne“

Am 20. Juni 2025, ein Tag vor dem US-amerikanischen Angriff auf die Islamische Republik Iran, veröffentlichte die New York Times eine Analyse, in der sie erklärte, dass ein Krieg gegen den Iran die Schwäche Chinas und Russlands offen legen würde.

Beide seien nicht in der Lage, ihren Alliierten im Nahen Osten vor dem US-Militär zu schützen (siehe hier).

NATO-Generalsekretär Mark Rutte hat das Ergebnis dieser Analyse nun in einem Interview mit dem US-Sender Newsmax am 25. Juni 2025 bestätigt.

Auf die Frage, was die größte Bedrohung für die NATO sei, sagte er:

The largest threat, at present, clearly, is Russia. There's no doubt. But we are all very worried about North Korea now fighting in Europe, a war, the Russians against Ukraine. 

We see China, which is massively building up its military capabilities. They have now the same amount of ships sailing as the US. They will have 1000 nuclear warheads by 2030. 

Of course, we have the mullahs in Iran and we know what they're up to. And Iran, North Korea, China are supporting Russia in the war effort against Ukraine. So this is all interconnected.

Russland sei die größte Gefahr, wegen des Krieges in der Ukraine, aber auch Nordkorea und der Iran, die Russland unterstützen würden. China rüste massiv auf und stünde ebenfalls an der Seite Russlands, alles sei miteinander verbunden.

Aus diesem Grund, so Rutte, begrüße er es, dass die USA ihre militärische Stärke beim Angriff auf den Iran gezeigt hätten, diese Botschaft werde in Moskau und Peking sicher verstanden werden:

I think what happened now is Iran is projecting American power on the world stage, saying, here's a president who has the strength to do what is necessary. He's willing to use it, but in a very measured way. But this is a signal. 

If I was in Beijing or in Moscow, Putin, I would be sitting there and seeing that footage [and] I would not be happy. I would think, okay, they are really serious, these Americans. And this is exactly what we need: Projecting American power on the world stage.

Der letzte Satz verdient gesonderte Beachtung. Auf Deutsch lautet er:

Und das ist genau das, was wir brauchen: Eine Demonstration amerikanischer Macht auf der Weltbühne.

Darum geht es also: Um eine Demonstration der Macht. Es gilt, die Ambitionen Chinas, Russlands und anderer aufmüpfiger Staaten des Südens (den BRICS) mit militärischer Gewalt zu arrestieren.

Interessant ist der Sender, dem der NATO-Generalsekretär sein Interview gab. Über Newsmax steht bei Wikipedia:

Newsmax gilt als rechtskonservativ, rechtspopulistisch, dabei verbreitet es [sic] auch verschwörungstheoretische Nachrichten.

Man darf die Hoffnung hegen, dass Correctiv oder ein anderer politisch eingewiesener Watchdog den Umstand, dass der NATO-Generalsekretär mit Verschwörungstheoretikern Umgang pflegt, möglichst bald skandalisieren wird.

Ist doch laut Correctiv die Verbreitung rechtspopulistischer Verschwörungstheorien eine sehr gefährliche Sache!

***

Ein Tag, ein Artikel

Krieg ist wie Terrorismus: Er soll dem Feind zeigen, dass er schwach ist

Am 20. Juni 2025 veröffentlicht die New York Times einen Artikel unter folgender Überschrift:

A U.S. Attack on Iran Would Show the Limits of China’s Power

Untertitel:

China, which depends on Iran for oil and to counter American influence, has a lot to lose from a wider war. But there’s not much it can do about it.

Ein Angriff der USA auf den Iran, sagt die Zeitung, würde China seine Grenzen aufzeigen, weil es nicht in der Lage sei, einen seiner wichtigsten Partner in der Region zu schützen. China, der einzige wirkliche Rivale des US Empires, wäre demnach einer der großen Verlierer, sollte es zum Äußersten kommen.

Einen Tag später beginnt das Pentagon mit der Bombardierung der Islamische Republik Iran.

Das Timing des Artikels in der New York Times, dem wichtigsten Blatt im Land, macht deutlich, dass es bei diesem Angriffskrieg nicht nur um den Iran geht, sondern um das große Ganze. China breitet sich auf dem eurasischen Kontinent aus, es hat enorme geopolitische Ambitionen, die die USA mit aller Macht unterbinden wollen.

Ein Mittel auf diesem Weg ist die Zerstörung von Ländern, die in den chinesischen Plänen eine zentrale Rolle spielen. Dazu gehört der Iran. Bei der chinesischen Belt and Road Initiative (BRI), die den eurasischen Kontinent auf dem Land- wie Seewege verbinden soll, bildet das Land einen wichtigen Knotenpunkt. Wenn es ins Chaos stürzt, stockt auch die BRI.

Die New York Times führt weitere Gründe an, warum China im Falle eines Krieges der Verlierer sein könnte:

China has much to lose from a runaway conflict. Half of the country’s oil imports move in tankers through the Strait of Hormuz on Iran’s southern coast. And Beijing has long counted on Tehran, its closest partner in the region, to push back against American influence.

But despite those strategic interests, China, which has little sway over the Trump administration, is unlikely to come to Iran’s defense militarily, especially if the United States gets involved.

Genüsslich zitiert die Zeitung einen Experten des extrem bellikosen Think Tanks American Enterprise Institute, der schon bei der Ausarbeitung des War in Terror eine wichtige Rolle spielte:

“The reality is they don’t actually have the capability to insert Chinese forces to defend Iran’s installations,” said Zack Cooper, a senior fellow at the American Enterprise Institute in Washington. “What they would prefer to do is very quietly provide some material support, some rhetorical support and maybe some humanitarian aid.”

Ein anderer Experte aus dem Lager von Ex-Präsident Joe Biden stimmt dem zu:

“Beijing is scrambling to keep up with the rapid pace of events and is prioritizing looking after Chinese citizens and assets in the region rather than any sort of broader diplomatic initiative,” said Julian Gewirtz, who was a senior China policy official at the White House and the State Department during President Joseph R. Biden Jr.’s administration.

Die New York Times stellt zurecht fest, dass weder China noch Russland seinen Partnern in der Region zur Seite springt:

China’s tempered response resembles that of its like-minded partner, Russia, which has done little more than issue statements of support for Iran, despite having received badly needed military aid from Tehran for its war in Ukraine. Both Beijing and Moscow were also seen as bystanders last year when their shared partner, the Assad regime, was overthrown in Syria.

Die Zeitung wertet das als Schwäche:

Their relative absence raises questions about the cohesiveness of what some in Washington have called the “Axis of Upheaval” — the quartet of China, Russia, Iran and North Korea, which have drawn closer diplomatically and militarily around a common opposition to the U.S.-dominated world order.

Wenn wir die Kriege im Nahen Osten aus dieser geopolitischen Perspektive betrachten, so hat Bundeskanzler Friedrich Merz durchaus Recht, wenn er sagt: Israel erledigt die „Drecksarbeit“ des Westens.

Alleine ist das kleine Land mit dem ganzen Dreck allerdings überfordert, zumal der Iran ein größerer Happen ist als Syrien oder der Libanon. Folgerichtig fordert die Jerusalem Post Donald Trump am 18. Juni 2025 auf, zur Tat zu schreiten:

Siehe dazu auch hier.

***

Ein Tag, drei Artikel

Die Zerstörungsphantasien anglo-amerikanischer und israelischer Strategen

Am 18. Juni 2025 wendet sich die Jerusalem Post mit einem Appell an Donald Trump:

Mr. President, this extreme theocracy needs to fall. Make its destruction as explicit a policy as the defeat of Nazi Germany or Saddam Hussein’s Iraq.

Die israelische Zeitung vergleicht also die Islamische Republik Iran mit Nazi Deutschland sowie Saddam Husseins Irak und fordert dessen Vernichtung.

Von Bedeutung ist vor allem der zweite Vergleich. Denn der US-amerikanische Angriffskrieg auf den Irak im März 2003 hatte nicht nur den Sturz des Diktators zur Folge, sondern führte zur Zersplitterung des Landes entlang ethnischer und religiöser Identitäten. Unfassbare Blutbäder fanden statt, an denen schiitische wie sunnitische Extremisten beteiligt waren. Der Irak als Nationalstaat existiert seitdem nicht mehr.

Das bedeutet für Israel wie die USA: ein feindlicher Staat weniger. Daran kann auch die Tatsache nichts ändern, dass der Iran seitdem enorm an Einfluss im Irak gewonnen hat und diverse Milizen kontrolliert. Ein zersplittertes Land, dass jederzeit Gefahr läuft, in einen Bürgerkrieg zu verfallen, stellt keine vergleichbare Bedrohung dar wie ein (halbwegs) funktionierender, moderner Nationalstaat mit einer nationalistischen Ideologie.

Die Phantasie, nahöstliche Staaten bzw. Gesellschaften entlang ihrer religiösen und ethnischen Unterschiede zu zersplittern, ist tief in der Psyche israelischer wie anglo-amerikanischer Strategen verankert.

Sie glauben damit, den Nahen Osten besser kontrollieren zu können, aus den genannten Gründen: Ein zerstückelter Staat ist leichter zu manipulieren als ein funktionierender Nationalstaat, der die gesellschaftliche Heterogenität im Zweifelsfall durch ein hartes Geheimdienstregime im Zaum hält.

Hinzu kommt die Traumatisierung durch das massenhafte Blutvergießen, das mit dem Zersplitterungsprozess einhergeht. Es führt dazu, dass die davon betroffenen Gesellschaften auf lange Sicht kein Interesse mehr haben können, sich mit Israel und/oder den USA anzulegen

Tatsächlich hatten (und haben) Israel wie die USA Erfolg mit dieser Strategie – nicht nur im Irak, sondern auch in Syrien und in abgewandelter Form in Libyen, wo regionale statt ethnische/religiöse Animositäten ausgenutzt wurden, um den Staat zu zerstören.

Nun ist der Iran an der Reihe. Zumindest ist das die Phantasie israelischer und anglo-amerikanischer Strategen.

Die Jerusalem Post kleidet das kommende Blutvergießen – wenn der Plan denn gelingt – natürlich in freundliche Worte. Denn die westliche Öffentlichkeit liest mit und kann sich für diese Art von Regime Change nur erwärmen, wenn er für eine „gute“ Sache ist. Anders ausgedrückt: Wenn es um die „Befreiung“ unterjochter Völker geht.

Die Zeitung fordert Donald Trump deswegen auf:

Forge a Middle East coalition for Iran’s partition. Encourage long-term plans for a federalized or partitioned Iran, recognizing that Khamenei’s theocratic regime cannot be reformed. Offer security guarantees to Sunni, Kurdish, and Balochi minority regions willing to break away.

Minderheiten sollten ermutigt werden, aus dem iranischen Nationalstaat auszubrechen, Donald Trump möge eine nahöstliche Koalition schmieden, die zur „Teilung“ des Irans führt.

Drei Tage später, am 21. Juni 2025, erscheint die britische Zeitung The Economist (sie nennt sich selbst „newspaper“, obwohl sie wöchentlich erscheint). Sie gehört zu den wichtigsten Leitmedien auf dem Globus, mit einer Tradition, die bis ins Jahr 1843 zurückreicht. Der Economist gibt Trends vor und entwirft auch langfristige Szenarien, die mitunter Realität werden.



Dieses Heft ist dünn, es umfasst gerade 78 Seiten und kostet schlappe 12.99 €. Jede elfte Seite ist dem Krieg gegen den Iran gewidmet. Es geht also um die Wurst.

Der Economist ist verhalten optimistisch, was die Chancen betrifft, die Islamische Republik in die Knie zu zwingen. Gleichzeitig beschreibt er etwas weniger idealistisch als die Jerusalem Post, was dem Land und seinen Nachbarn möglicherweise bevorsteht.

In dem Artikel „Decisive attack, unknown result“ steht folgendes Szenario:

Iran could splinter, with ethnic separatists causing trouble near its borders with Iraq, Pakistan and Turkey. Or the clerical regime could give way to a military one, which might be tempted to make a clandestine dash for a nuclear bomb in order to deter future attacks. In the first scenario, Iran would come to resemble Libya; in the second it would be North Korea. Neither is an appealing choice for its neighbours.

In dem Artikel „Rotten or robust?“ (online nicht verfügbar) phantasiert der Economist erneut von einem Bürgerkrieg, als wolle er klar stellen, wohin die Reise geht:

Separatists may resurface in Kurdish and Azeri provinces, as they did aufter the shah´s fall. A civil war is possible, as in Syria and Iraq: a prospect that terrifies many Iranians.

Ein Bürgerkrieg sei „möglich“, so wie er in Syrien und dem Irak stattfand. Das versetze viele Iraner in Angst und Schrecken.

Diese Angst sollte jeder Beobachter, der ein Fünkchen Empathie für die Menschen in dem Land übrig hat, ernst nehmen und inständig hoffen, dass sich die Phantasien anglo-amerikanischer und israelischer Strategen diesmal nicht bewahrheiten.

***